Theorien zur systematischen Erklärung von Lernprozessen werden als Lerntheorien bezeichnet. Wobei es verschiedene Richtungen der Lernforschung (bspw. verhaltenstheoretische Psychologie, Kognitionspsychologie oder handlungstheoretische Psychologie) gibt. In der psychologischen und pädagogischen Forschung haben sich in den letzten Jahrzehnten drei Lerntheorien herauskristallisiert und etabliert, die menschliche Lernprozesse sehr divergent erklären. Der Behaviorismus, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden ist, der Kognitivismus, der aus der Kritik am Behaviorismus hervorgegangen ist und der Konstruktivismus, der seit Ende des 20 Jhr. intensiv diskutiert wird.
Die Theorien gehen davon aus, das Lernen durch…
- Verstärkung erfolgt (Behaviorismus),
- Einsicht und Erkenntnis stattfindet (Kognitivismus) und
- persönliches Erfahren, Erleben und Interpretieren geschieht (Konstruktivismus).
1.1 Behaviorismus
Behavioristische Lerntheorien verstehen das Lernen als das Knüpfen von Stimulus-Reaktions-Verbindungen. Wenn gelernt wurde, zeigt der Organismus auf den Reiz die richtige Reaktion. Auf Spekulationen darüber, was im Inneren des Organismus vorgeht, wird verzichtet, weil das ohnehin nicht beobachtet werden kann.
Im Prinzip betrachtet der Behaviorist den Organismus als black box, deren Funktionsweise nur aus dem Input (Reize) und dem Output (Reaktion) zu erschließen ist. Psychische Vorgänge werden dabei also in Reiz-Reaktions-Verbindungen aufgelöst („Reiz-Reaktions-“ bzw. „Stimulus-Response-Psychologie“). Interessant für die Forscher waren und sind vor allem die Gesetzmäßigkeiten zwischen Reiz und Reaktion, die Gesetze des Verhaltens. Da die Motivation, das Denken, die Kreativität und das Erinnern der Lernenden als einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht zugänglich galten (methodischer Behaviorismus), wurden diese Aspekte in der Forschung nicht berücksichtigt; wichtig sei nur, dass zuletzt das als erwünscht festgelegte Verhalten gezeigt wird.

Quelle: Eigene Darstellung.
Das Erkenntnisinteresse ist darauf gerichtet, wie Lernen von außen gesteuert werden kann.
Besonders bekannt sind die Arbeiten von Pawlow, Watson und Skinner:
- Beim klassischen Konditionieren wird Lernen durch die Manipulation der Stimulus-Bedingungen bewirkt. Iwan P. Pawlow ließ Hunden Futter darbieten, was zu einem natürlichen Speichelfluss führte (unconditioned stimulus – unconditioned response). Wenn gleichzeitig mit der Futterdarbietung ein Glockenton erzeugt wurde, lernten die Hunde es, diesen Ton mit ihrem Futter in Verbindung zu bringen und sonderten bald schon Speichel ab, wenn nur dieser Ton erklang (conditioned stimulus – conditioned response).
- Der Begründer des Behaviorismus J. Watson übertrug das Prinzip der klassischen Konditionierung von der Tierpsychologie auf die Psychologie des Menschen (siehe Experiment zum Kleinen Albert).
- B. Skinner erweiterte diese Reiz-Reaktions-Verbindung um das Operante Konditionieren. Er ließ den lernenden Organismus nicht nur reagieren, sondern auch aktiv operieren. In der Skinner-Box konnten Ratten oder Tauben durch das Drücken eines Hebels eine Futtergabe auslösen. Sie lernten, dass bestimmtes Verhalten einen bestimmten Effekt erzielt. Verhalten baut sich demnach über positive (bzw. über negative) Verstärkung (Belohnung) auf.
Nach behavioristischer Auffassung fördern folgende Prinzipien ein erfolgreiches Lernen:
- Aktivitätsprinzip:
Der Lernende übt vor allem aktiv (Erklärungen bzw. Vorführungen durch Lehrer sollten daher minimiert werden). - Prinzip des fehlerfreien Lernens:
Lernsequenzen werden so einfach bzw. kurz angelegt, dass möglichst zielstrebig und ausschließlich das Richtige geübt wird. Das führt zu kleinen Lerneinheiten. - Prinzip der unmittelbaren Rückmeldung:
Der Lehrer greift bei Fehlern sofort ein und fordert zur Wiederholung auf.
Die Kritik, dass der Lerner hier als black box angesehen wird, führt unmittelbar zur kognitivistischen Perspektive.
1.2 Kognitivismus
Kognitivistische Lerntheorien versuchen zu verstehen, was Lernen „intern“ ist. Wie laufen die Verarbeitungsprozesse im Hirn ab und welche Bedeutung haben sie für das Lernen, Behalten und Verstehen? Wie können Instruktionen optimiert werden, um Lernen optimal zu fördern?
Beim Kognitivismus wird das Lernen als die regelgeleitete und schrittweise Manipulation von Symbolen/Symbolsystemen verstanden, welche die Realität repräsentieren („Symbolverarbeitungshypothese“). Die bereits 1956 präsentierte These, dass Computer und menschlicher Geist im Grunde zwei Varianten des gleichen Daten-Verarbeitungs-Systems sind, in denen Symbole durch Programme verarbeitet werden, war aber nicht haltbar. Auftrieb bekamen kognitivistische Lernvorstellungen durch Erkenntnisse der Gehirn- und Kognitionsforschung ab den 80er Jahren.

Quelle: Eigene Darstellung.
Zu den Thesen gehören:
- Lernen ist:
- Aktiv: Der Lernende verarbeitet einkommende Daten aktiv.
- Konstruktiv: Neue Daten bzw. Informationen werden elaboriert und zu bereits gespeicherten Daten in Beziehung gesetzt.
- Kumulativ: Neues Lernen baut auf Vorwissen auf, dieses bestimmt stark, was gelernt wird.
- Zielorientiert: Lernen ist erfolgreicher, wenn sich der Lerner klare Ziele setzt.
- Lernende müssen zu einem aktiven und bedeutungsvollen Umgang mit dem Lerngegenstand angeregt werden.
- Eine tiefere Daten-/Informationsverarbeitung (das sprichwörtliche „Knacken harter Nüsse“) schafft stärkere Gedächtnisspuren.
- Advanced Organizer sind einem Lehrtext vorangestellte Strukturierungshilfen, die dabei helfen, die nachfolgenden Daten/Informationen besser mit dem Vorwissen zu integrieren.
Kognitivistische Lerntheorien gehen davon aus, dass das Wissen objektivierbar ist, also unabhängig vom Lerner existiert. Es gibt demnach definierbare Wissensstrukturen.
1.3 Konstruktivismus
Lernen ist konstruktiv: „Wir sind die Erfinder unserer Wirklichkeit.“ (Kersten Reich). Lernen ist dabei an Handeln gebunden. Wissen wird grundsätzlich in Handlungen erworben. Damit ist nicht nur Learning by doing gemeint – auch beim Lesen eines Textes oder beim Hören eines Vortrags setzen die Lernenden (mindestens) die aufgenommenen Daten in Beziehung zum Lernkontext oder zu ihrem Vorwissen und konstruieren damit ihr Wissen aktiv. Der interaktionistische Konstruktivismus postuliert, dass wir in unseren Konstruktionen nicht völlig frei sind – wir sind vielmehr in Beobachtungen, Teilnahmen und Aktionen u. a. an kulturell vermittelte Vorverständigungen gebunden. Didaktische Prozesse laufen dabei auf den drei Ebenen der sinnlichen Gewissheit, der Konventionen oder der Diskurse ab.

Quelle: Eigene Darstellung.
Postuliert wird:
- Lernen ist kreativ:
Kreativität ermöglicht divergentes, produktives und non-konformes Denken. - Lernen ist sozial:
Einerseits zielt Lernen auf Teilhabe an der Gesellschaft ab, auf die Fähigkeit, sich anderen verständlich zu machen und sich zurechenbar zu verhalten. Andererseits erfordert Lernen die Teilnahme an Verständigungsgemeinschaften, die Rekonstruktion von Normen und kulturellem Hintergrundwissen. - Lernen ist situiert:
„Menschliche Kognitionen entstehen zwischen intelligenten Individuen in sozialhistorisch definierten Kontexten, in denen sie miteinander interagieren.“ Didaktik muss daher die Situationen, in denen Lernende stehen, einbeziehen. So werden Handlungen weit stärker durch Kontexte bestimmt als durch Pläne, Strategien oder Konstruktionen. - Lernen ist emotional:
Das Imaginäre bestimmt einerseits über den Lernerfolg mit, denn kognitive Lehr- und Lernprozesse erfordern (auch) soziale sowie emotionale Bereitschaft und den „Funken“, der überspringt. Andererseits stellt es auch eine Grenze (z. B. für didaktisches Handeln auf der Beziehungsebene) dar, denn das Imaginäre im Anderen bleibt unzugänglich. Schließlich dient auch das Reale als Erkenntnismoment, also das unmittelbar, direkt Erlebte. Reale Erlebnisse bleiben meist wirksamer im Gedächtnis als künstlich bzw. theoretisch initiierte Erfahrungen. Didaktik sollte daher die Begegnung mit dem Realen ermöglichen. - Lernen ist individuell:
Das heißt, dass es für Lernende individuell variable (passende) Lernwege geben kann, die vom Lehrenden anerkannt, aber auch – z. B. durch Präsentation von Ergebnissen – wieder in den sozialen Raum zurückgeholt werden sollten.
1.4 Vergleich der drei Lerntheorien
Im Gegensatz zum Behaviorismus betont der Konstruktivismus die internen Verstehensprozesse und in Abgrenzung zum Kognitivismus lehnt er die Annahme einer Wechselwirkung zwischen der externen Präsentation und dem internen Verarbeitungsprozess ab. Der Sichtweise von Lernen als ein Datenverarbeitungsprozess wird die Vorstellung von Wissen als die individuelle Konstruktion eines aktiven Lerners in einem sozialen Kontext gegenübergestellt. Dem Vorwissen des Lernenden kommt insofern entscheidende Bedeutung zu, da neues Wissen stets im Bezug darauf konstruiert wird und die Aktivierung von Vorkenntnissen, ihre Ordnung, Korrektur, Erweiterung, Ausdifferenzierung und Integration die entscheidende Rolle spielen. Durch Lernen werden individuelle Konstrukte aufgebaut, verknüpft, reorganisiert und modifiziert, und zwar stets unter dem Prinzip der aktuellen und zukünftigen Zweckmäßigkeit. Lernen bedeutet nach dem konstruktivistischen Paradigma aktives Wahrnehmen, Erfahren, Handeln, Erleben und Kommunizieren.
Kategorie | Behaviorismus | Kognitivismus | Konstruktivismus |
| Das Gehirn ist … | eine black box | informationsverarbeitend | ein informationell geschlossenes System |
| Wissen wird | gespeichert | verarbeitet/verknüpft | konstruiert |
| Lernen ist | eine korrekte Input-Outputrelation | ein adäquater interner Verarbeitungsprozess | in einer Situation operieren zu können |
| Lernziele | (gewünschtes) Verhalten | Lösungsstrategie anwenden | komplexe Situationen bewältigen |
| Lehrkraft is | Leitender Anreger/in | Tutor:in | Coach:in, Mentor:in |
Quelle: Baumgartner; Payr 1994
Querverweis
Links
| Lerntheorien: https://www.isb.bayern.de/download/1542/flyer-lerntheorie-druckfassung.pdf Theorie des Lernens: https://www.isb.bayern.de/gymnasium/materialien/t/theorien-des-lernens/ http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/ LERNEN/Lernen.shtml Lerntypen: https://www.iflw.de/blog/lernen/welche-lerntypen-gibt-es/ |
Literatur
| Edelmann, W. (1995). Lernpsychologie. Weinheim: Psychologie-Verlags-Union. |
(Lern)Psychologie
Erziehungswissenschaften
