Neben den drei Haupttheorien gibt es unzählige andere Theorien und Ansätze, die stellenweise als handlungsleitend für die didaktische Planung angesehen werden können. Es gibt jedoch kein Konsens im Bezug auf ein wissenschaftliches System.
„In der Psychologie gibt es anscheinend ein ähnliches Problem mit dem disziplinären Status wie in der Pädagogik, wo sich schon Johann Friedrich Herbart (1776-1841) vor über 200 Jahren darüber beklagt gehabt hatte, daß der Pädagogik die einheimischen Begriffe fehlten. Auch die Psychologie scheint nach dem Urteil der Zeitgenossen Piagets aus vielen verschiedenen Psychologien bestanden zu haben, so daß das „Fehlen eines einheitlichen wissenschaftlichen Systems“ dazu führte, „daß jede über eine einfache Anhäufung von Einzelfakten hinausgehende Neuentdeckung von Tatsachen auf irgendeinem Gebiet der Psychologie“ dazu zwang, „eine eigene Theorie zu schaffen, um die neu gefundenen Tatsachen und Abhängigkeiten zu erklären“. (Vgl. Wygotski 1964/1969, S. 18) – Mit anderen Worten: Man forschte eifrig drauf los, ohne zu wissen, was dabei rauskommen sollte, und bastelte sich dann zu den gefundenen Daten die passende Theorie.“
(Zöller, 2015, Abs. 1)
Diese Vielfalt hält bis heute an und erschwerten eine systematische Darstellung der verschiedenen Theorien und Ansätze. Es folgt daher eine unsystematische Zusammenstellung von einigen Ansätzen, die ein Teil des theoretischen Fundamentes der heutigen Beruflichen Bildung sind. Detaillierte Ausführungen können den entsprechenden Lehrbüchern zur Psychologie und Pädagogik entnommen werden.
Der folgende Abschnitt zeigt einige zentrale Ansätze in logisch-historischer Abfolge.
Soziokulturelle Theorie/Ansatz
Der soziokulturelle Ansatz wurde wesentlich von L. Wygotzki (auch geschrieben Wygotski oder Vygotzki) und A. Leontjew entwickelt.
Lernen (von Kindern) erfolgt in einem sozialen Kontext und durch Interaktion und ist dementsprechend durch die Kultur geprägt. Dabei werden den Lehrenden oder Pädagogen eine aktive und maßgebliche Rolle zugeschrieben.
- Denken als verinnerlichter Dialog/Sprechen.
- Lernen durch „Tätigkeit“
Sozialkognitive Lerntheorie – Lernen am Modell – Modelllernen nach Bandura
„Modelllernen ist die von Albert Bandura eingeführte Bezeichnung für einen kognitiven Lernprozess, der vorliegt, wenn ein Individuum als Folge der Beobachtung des Verhaltens anderer Individuen sowie der darauffolgenden Konsequenzen sich neue Verhaltensweisen aneignet oder schon bestehende Verhaltensmuster weitgehend verändert.“
(Stangl, 2021)
Folgende Begriffe sind in diesem Kontext auch zu finden:
Nachahmungslernen, Beobachtungslernen, Imitationslernen, Vorbildlernen, Beobachtungslernen, soziales Lernen, soziale-kognitive Lerntheorie, stellvertretendes Lernen, no trial learning.
Erkenntnistheoretischer Ansatz – Genetische Epistemologie nach Piaget
Konstruktivistische Lerntheorien basieren auf der Vorstellung, dass Lernende mentale Strukturen aufbauen – konstruieren.
Diese Strukturierung soll auf verschiedene Weise erfolgen. Piaget ging davon aus, dass jeder Mensch zwei grundlegende Fähigkeiten (Adaption und Organisation) hat.
Anpassung an die Umwelt durch:
- Kumulatives Lernen
Etwas Neues lernen, das (zunächst) isoliert von anderen Kontexten steht. - Assimilatives Lernen (Piaget)
Hinzufügen vom Gelernten in bestehende Schemata bzw. Anpassung neuer Erfahrungen an die eigene Gedankenstruktur (Assimilation). - Akkommodatives Lernen (Piaget)
Bestehende Schemata werden verworfen oder angepasst und damit rekonstruiert – Anpassung der vorhandenen kognitiven Strukturen und Konzepte an neue Erfahrungen, die sich aus der Interaktion mit der Umwelt ergeben (Akkommodation). - Tranformatives Lernen (Roger; Engström)
Simultane Restrukturierung in kognitiven und affektiven Dimensionen -> „Persönlichkeitsveränderung“ oder Kompetenzerwerb.
Organisation:
- Integration der individuellen Handlungsweise an die Systeme
Prinzipien des Lernens nach Carl Rogers
Rogers ist ein wichtiger Vertreter der humanistischen Psychologie und vor allem durch seinen personenzentrierten Ansatz bekannt. Er übertrug später seine Idee der personenzentrierten Prinzipien auch auf den Bildungsbereich.
Die folgende Auflistung (nach der Übersetzung von Susanne Scherer) ist ursprünglich entnommen: http://www.ibe.unesco.org/publi-cations/ThinkersPdf/rogerse.PDF; Sie ist heute noch zu finden unter: https://selbstverantwortungplus.bildung.hessen.de/pbtp1/praxisbeispiel_1/text_2.html (Stand 13.01.2024).
- Human beings have a natural potential for learning.
Menschliche Wesen haben die natürliche Gabe zu lernen. - Significant learning takes place when the subject matter is perceived by the student as having relevance for his/her own purposes, when the individual has a goal he/she wishes to achieve and sees the material presented to him/her as relevant to the goal, learning takes place with great rapidity.
Signifikant findet Lernen vor allem dann statt, wenn der Lerninhalt vom Schüler:in für die eigenen Absichten als wichtig eingestuft wird. Wenn das Individuum ein Ziel vor Augen hat und das gebotene Material für sich selbst als relevant zum Erreichen des Ziels einordnet, geht der Lernprozess äußerst schnell vonstatten. - Learning which involves a change in self-organization — in the perception of oneself — is threatening and tends to be resisted.
Lernprozesse, die in der eigenen Wahrnehmung eine Veränderung des eigenen Selbst beinhalten, werden als bedrohlich eingestuft und häufig abgewehrt. - Those learnings which are threatening to the self are more easily perceived and assimilated when external threats are at a minimum.
Jene Lernerfahrungen, welche für das Selbst(-bild) bedrohlich wirken, werden dann leichter wahrgenommen, angenommen und verarbeitet, wenn es kaum äußere Bedrohungen gibt. - When the threat to the self is low, experience can be perceived in differentiated fashion and learning can proceed.
Wenn es wenig Gefahren für das eigene Selbst gibt, können Erfahrungen in unterschiedlichen Facetten wahrgenommen werden und der Lernprozess kann voranschreiten. - Much significant learning is acquired through doing.
Sehr verankert sind Lernerfahrungen, wenn sie durch Handlungen angeeignet wurden. - Learning is facilitated when the student participates responsibly in the learning process.
Gefördert und erleichtert wird ein Lernprozess dann, wenn ein Schüler (selbst-) verantwortlich daran teilnimmt. - Self-initiated learning which involves the whole person of the learner – feeling as well as intellect – is the most lasting and pervasive.
Selbst gewähltes Lernen, das die Person als Ganzes erfordert, also sowohl Emotionen als auch Intellekt, erzeugt die durchdringendsten und nachhaltigsten Lernerfahrungen. - Independence, creativity and self-reliance are all facilitated when self-criticism and self-evaluation are basic and evaluation by others is of secondary importance.
Unabhängigkeit, Kreativität, und Selbstvertrauen werden dann erleichtert und gefördert, wenn Selbstkritik und Selbsteinschätzung von entscheidender und die Beurteilung durch andere von zweitrangiger Bedeutung sind. - The most socially useful learning in the modern world is the learning of the process of learning, a continuing openness to experience and to incorporate into oneself the process of change.
Den größten sozialen Nutzen in der modernen Welt erbringt das Erlernen von Lernprozessen als solche, eine anhaltende Offenheit Veränderungen zu erfahren und in das eigene Selbstbild zu integrieren.
Psychologie des Handelns (psychologische Didaktik) – Aebli
Grundformen des Lehrens (nach Aebli)
Aebli war Schüler von Piaget. Sein Ansatz zur allgemeinen Didaktik basiert auf der Psychologie (vgl. Aebli 1998).
Er postuliert die 12 Grundformen:
- Erzählen und Referieren
- Vorzeigen
- Anschauen und Beobachten
- Mit Schüler:in lesen
- Schreiben – Texte verfassen
- Einen Handlungsablauf erarbeiten
- Eine Operation aufbauen
- Ein Begriff bilden
- Problemlösendes Aufbauen
- Durcharbeiten
- Üben und Wiederholen
- Anwenden
Lernarten nach Gagné
Gagné verbindet die drei Lerntheorien und unterscheidet zwischen acht, hierarchisch gegliederten, aufeinander aufbauenden Lernprozessen:
- Signallernen
- Reiz-Reaktion-Lernen
- Lernen motorischer Ketten
- Lernen sprachlicher Assoziationen
- Lernen multipler Diskrimination
- Begriffslernen
- Regellernen
- Problemlösen
Lernprozess nach Honey und Mumford (1992)
Honey und Mumford gehen von einem vierstufigen Lernprozess aus:
- Erfahrungen machen
- Reflexion der Erfahrungen
- Schlüsse ziehen
- Transfer von Konzepten auf andere Situationen
Mit dem Durchlaufen der vier Phasen, erlangt der Lernende weitere Erfahrung und der Zyklus wird erneut durchlaufen.
Querverweis
Stichworte
Außerdem, Pestalozzi, Kerschensteiner, Montesorri
Handlungsregulationstheorie – Hackert/ Volpert
In Anlehnung an Chomskys führte Volpert den Begriff der Handlungskompetenz ein.
Er definierte dabei „effizientes Handeln als stabil-flexibel. Rückmeldung ermöglicht es, an Plänen festzuhalten und sich dennoch an veränderte Situationen anzupassen“ (Volpert, 1974, S. 46). Er nimmt eine „grundsätzliche Gerichtetheit der Veränderungen des Systems“ (ebenda S. 15) an, die sich in Richtungen operationalisieren lassen:

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an th (474×204) (bing.net) (Stand 2024).
- als Höherentwicklung im Sinne einer Entwicklung der Handlungskompetenz
- als eingeschränkte Kompetenzentwicklung im Sinne einer Partialisierung der Handlungskompetenz
Hacker und Volpert prägten erstmals 1971 den Begriff einer Theorie der Handlungsregulation (Handlungsregulationstheorie).

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an 440px-VVR-Einheit_2.JPG (440×317) (wikimedia.org)
(Stand 2024).
Entwicklungstheoretischer Ansatz – Phänomenologisches Modell des Lernens nach Dreyfus/Dreyfus
Der fortgeschrittene Anfänger (Advanced Beginner): Durch die Anwendung der erworbenen Regeln erlangt der Lernende die Möglichkeit, erste praktische Erfahrungen zu sammeln. In realen Situationen wird er mit bedeutsamen Fakten und Mustern konfrontiert, die nicht kontextfrei sind und für die objektive Regeln allein keine ausreichende Handlungsanleitung bieten können. Diese kontextgebundenen Fakten und Muster werden von Dreyfus & Dreyfus als „situational“ bezeichnet. Auf dieser Stufe des Erwerbs von Fertigkeiten kann die Handlung sowohl auf kontextfreie als auch auf situationsbezogene Erfahrungen zurückgreifen, wodurch die Bedeutung der situationalen Erfahrung bereits an Bedeutung gewinnt.
Der kompetent Handelnde (Competence): In dieser Phase des Fertigkeitenerwerbs erlernen Individuen die Anwendung hierarchisch strukturierter Konzepte. Die Auswahl eines geeigneten Plans, der diese Phase charakterisiert, hat einen nachhaltigeren Einfluss auf die Handlungsweise als die bloße Anwendung einzelner kontextfreier oder situationsbezogener Elemente sowie das Wissen um entsprechende Regeln. Ein kompetenter Handelnde empfindet, nachdem er sich mit der Auswahl eines angemessenen Handlungsplans auseinandergesetzt hat, eine Verantwortung für die Konsequenzen seiner Entscheidung. Die beiden höchsten Stufen der Kompetenz zeichnen sich durch fließendes, intuitives und engagiertes Verhalten aus, das sich deutlich von dem langsamen, distanzierten Überdenken beim Problemlösen unterscheidet.
Der gewandt Handelnde (Proficiency): Auf dieser Stufe des Kompetenzerwerbs erfolgt eine Verschiebung von distanziertem Entscheiden hin zu Handeln. Ähnliche Situationen, die in der Vergangenheit erlebt wurden, lösen aktiv Erinnerungen an bewährte Handlungspläne aus. Während einer Situation werden keine Merkmale mehr mit Regeln verknüpft und dadurch diese als Ganzes erkannt. Stattdessen handelt es sich um eine intuitive Fähigkeit, Muster (Patterns) zu verwenden, ohne diese in ihre Bestandteile zu zerlegen. Dieses Vermögen wird von Dreyfus & Dreyfus als „holistische Erkennung von Ähnlichkeiten“ (Holistic Similarity Recognition) bezeichnet.
Der Experte (Expertise): In dieser Phase des Erwerbs von Fertigkeiten verschmilzt die Fähigkeit einer Person mit ihrer Identität. Die emotionale Verbindung zu den Ergebnissen ihrer Handlungen ist besonders stark ausgeprägt. Entscheidungen werden nicht mehr durch analytische Prozesse getroffen, sondern intuitiv. Die Intuition ist dabei die zentrale Kategorie dieses Lernmodells. Intuition oder Know-how beziehen sich auf ein Verständnis, das mühelos auftritt, wenn eine aktuelle Situation Ähnlichkeiten mit vergangenen Erfahrungen aufweist. Intuition oder Know-how sind Fähigkeiten, die wir kontinuierlich in unserem alltäglichen Handeln einsetzen. Experten lösen daher keine Probleme oder treffen bewusste Entscheidungen; sie handeln schlicht und einfach.
Expertiseforschung
Es gibt verschiedene theoretische Ansätze, die sich mit der Entstehung einer Expertise auseinandersetzten (vgl. Sandmann 2007, S. 232).
- Skilled-Memory Theory
Lernen oder der Erwerb von Expertise als Veränderung des Gedächtnisses bedingt durch - Umfangreiches, verknüpftes Wissen
- Gute Wissensvernetzungen im Arbeitsgedächtnis
- Effiziente Nutzung des Langzeitgedächtnisses
- Adaptive control of Thought (ACT)
“Ausgehend von der Unterscheidung von deklarativem und prozeduralem Wissen wird der Expertisenerwerb als Prozess der Prozeduralisierung deklarativen Wissens durch intensive Praxis beschrieben.“ (ebenda)
Dies erfolgt in drei Stufen: - Accumulation
„Sammeln und Speichern“ von Daten -> Information - Compilation
Üben und Anwenden; Transfer auf andere Aufgaben - Tuning
Entwicklung von aufgabenunabhängigen Lösungsstrategien - Expertisenentwicklung als Ergebnis verständigen Lernens
Lernen durch planvolles Vorgehen und Reflexion
Querverweis
Literatur
| Robert M. Gagné: Die Bedingungen des menschlichen Lernens Winfried Hacker & Walter Volpert: Psychologe und Arbeitswissenschaftler – Arbeitspsychologie |
